Reisebericht “Zu Besuch bei IT9” von Hartmut, DL8PB

Zu Besuch bei IT9

mit kleinen historischen, sachlichen und anekdotischen Ergänzungen zum Amateurfunk, die sich aus diesem ergaben.

Wegen sprachlicher Ambitionen wollte ich einmal etwas länger in Italien verweilen und meinen online Italienischkurs offline dort fortzusetzen, wo die Familie meiner italienischen Sprachlehrerin wohnt,in Bagheria, einer sizilianischen Stadt der Provinz Palermo mit etwa 60 tausend Einwohnern, die der eine oder andere vielleicht in Verbindung mit Kinofilmen bringt, denn wer kennt nicht den wunderbaren und oscarprämierten Kinofilm „Nuovo Cinema Paradiso“ von Guiseppe Tornatore, der damit dem Kino und den Menschen Siziliens ein Denkmal gesetzt hat.

Direkt am Golf von Palermo gelegen, glänzt Bagheria mit einer nicht unerheblichen Anzahl von alten Villen, welche sie ihrer geografischen Besonderheit verdankt, einer vom Meer aus kontinuierlich ansteigenden Geologie, die seinerzeit einen freien Blick auf das Meer erlaubte. Der Ortsteil von Bagheria, der direkt am Golf von Palermo liegt, nennt sich Aspra. Aspra selber bildet für sich einen kleinen Fischerort, dessen „Zentrum“ eine lang gestreckte Piazza entlang des Meeres (lungo mare) bildet, auf der sich weitgehend das öffentliche Leben von Aspra abspielt.

Aspra, lungo mare

In Aspra fand ich ein Appartement als Bleibe, von dem ich einen freien Blick auf den Golf von Palermo hatte und so begrüßt mich jeden Morgen aus der Ferne Palermo mit seinem Hafen und der ca. 600 m hohen  Monte Pellegrino mit seinem Santuario di Santa Rosalia, der Wallfahrtskirche der Schutzheiligen von Palermo.

Blick aus Appartement

Der italienische Amateurfunk hat mit seinem System der Rufzeichenzuteilung, ein Relikt des Kalten Krieges, eine wunderbare Einrichtung geschaffen - wiewohl damals mit anderen Absichten, den Funkamateuren das Leben zu erleichtern[x]. Man kann aufgrund des Präfixes des Rufzeichens nicht nur das Land, sondern auch die Region einer Amateurfunkstation ermitteln und das erlaubt eine erste grobe geografische Orientierung. Geht es im praktischen Amateurfunk stets auch darum, wo eine Station ihren Standort hat und wie die Ausbreitungsbedingungen zu diesem einzuschätzen sind.

Das Dekret Nr. 259/2003 (bekannt als “Codice delle Comunicazioni Elettroniche”) regelt den Betrieb von Funkdiensten in Italien, einschließlich des Amateurfunks. Es beschreibt die Zuweisung von Rufzeichen und die Zuteilung auf geografische Regionen, sog. „call areas“. IT9 und IW9 bekommen die  Funkamateure auf dem sizilianischen Festland, ID9, IE9, IF9, IG9, IH9, IJ9 und IW9 die auf den umliegenden Inseln; z.B. IG9 erhalten die Funkamateure der Insel Pantelleria.

Zuständig innerhalb des Italienischen Amateurfunkverbandes (A.R.I. - Associazione Radioamatori Italiani) für Bagheria ist die Sektion Termini Imerese, benannt nach der gleichnamigen Stadt, ca. 20 km von Bagheria, in Richtung Osten am Tyrrhenischen Meer gelegen und deren Name bereits einen Hinweis auf die lange antike griechisch-römische Vorgeschichte mit ihren Thermalbädern  enthält.

[x] Dazu gibt es in einschlägigen ital. Amateurfunkforen interessantes Belegmaterial

ARI Sizilien

Die Sektion „Termini Imerese ODV“ (Organizzazione di Volontariato) ist gemeinnützig sowie Teil des italienischen Zivilschutzes und begleitet innerhalb dessen in ihrem lokalen Bereich Aufgaben der Notfallkommunikation. Die Teilnahme an den Zivilschutzübungen ist ein in der Öffentlichkeit geschätzter Beitrag für Notlagen. Darüber hinaus nimmt diese Sektion auch Anteil an JOTA-Aktivitäten[x]. Ein weiterer wertvoller Beitrag der A.R.I. - Sektion Termini Imerese für die Gesellschaft ist die Unterstützung von Schulen bei der Erläuterung der Funktechnik, d.h. dem gebrauch der Radio-Telegrafie und ihrer historischen Entwicklung bei der Italien nicht ohne begründeten Stolz auf die Leistungen Guglielmo Marconi’s blickt.

[x] JOTA, Jamboree On The Air ist ein internationales Treffen von Pfadfindergruppen, die weltweit mittels des Amateurfunks in Verbindung treten

Gegründet wurde die Sektion Termini Imerese im Jahre 1974 von einer Reihe bereits erfahrener sizilianischer Funkamateuren, u. a. IT9RAN Pippo Rancatore, IT9BWO Dino Barbata, IT9SXA Enrico Santagati, IT9AZS Salvatore Alescio, und vielen anderen. Die Sektion wurde damals von Salvatore Alescio IT9AZS, einem Chirurgen, der einen nicht unerheblichen Teil seines Schaffens dem Amateurfunk widmete und unter dessen Leitung die Sektion Termini Imarese zahlreiche national und international beachtete Aktivitäten entfaltete.

So fand 1984 in Cefalu die noch ganz unter den Beschränkungen des Kalten Krieges stehende Konferenz der IARU Region 1 statt, auf der auch die Vertreter des Ostblocks eingeladen waren. Keine große Sache, hätte nicht seitens der italienischen Regierung durch das Ministero delle Comunicazioni ein Funkverbot mit den Radioamateuren des Ostblocks bestanden. Des Weiteren ein viel beachtetes Experiment, bei dem Gesundheits-Telemetriedaten (EKG) zwischen Sizilien und Guinea-Bissau ausgetauscht wurden.

Hervorzuheben ist die Durchführungen zahlreicher DX-Expeditionen rund um die Welt: Guinea-Bissau, Afghanistan, Benin, Togo, Simbabwe, Sao Tome Principe, usw. usw.

Die A.R.I. - Sektion Termini Imerese hat ihren Sitz im "Museo dell'Acciuga e delle Arti Marinare“, einem kleinen, aber feinen Museum in Bagheria, wo die Baghereser der Arbeit ihrer Vorfahren gedenken und das darüber hinaus einen Mittelpunkt vieler interessanter künstlerischer sowie kultureller Aktivitäten bildet. So lädt die Sektion dort jährlich zu einer Castagnata ein, in Sizilien gewöhnlich eine gemütliche Veranstaltung bei gerösteten Kastanien, Wein und Sardellen-Brötchen. Hier unter YLs und OMs ist das aber eher eine Zusammenkunft mit dem Schwerpunkt Amateurfunk. Wir in unserem Club hier nennen das - glaube ich - ‚Fieldday‘, obwohl das inzwischen nichts mehr damit zu tun hat, trotzdem aber ein beliebtes Treffen der Funkamateure unseres Vereins mit diesem Namen geblieben ist.

Facebookseite ARI Termini Imerese

Seit 2024 wird die Sektion Termini Imerese von Giovanni Pellitteri, IT9ORA, geleitet, ein auch unter deutschen High-Speed Telegrafisten klangvoller Name, der mich nach erstem E-Mail-Kontakt zusammen mit IT9JDB, Onofrio Buttita, im Museo dell’Acciuga, dem Sitz der Sektion begrüßte.

Giovanni, IT9ORA, Onofrio, IT9JDB, Hartmut, DL8PB

Die Amateurfunkaktivitäten beider können auf qrz.com  bewundert werden, denn beide sind exzellente Telegrafisten, dem Bereich also, in dem der Amateurfunk richtig Sport wird, denn Telegrafieren, zumal mit hohem Tempo, ist sicherlich eine neurologisch äußerst anspruchsvolle Tätigkeit, die mentale und körperliche Fitness des Funkers voraussetzt und die erst einmal erreicht werden will. Wohl deshalb auch ist die Telegrafie eine Betriebsart, die lediglich von einer Minderheit der Funkamateure betrieben wird.

100 Jahre ARI Contest

Eine Gruppe der Mitglieder der Sektion Termini Imerese und weitere OMs und YLs  aus dem italienischen Norden (darunter Monica, IZ4FTG  und Sandro, IK4RVG) trafen sich am 5. Oktober am Sitz der Sektion im Museo dell’Acciuga in Aspra zur Vorbereitung des nächsten CQ WW-Contests der World Wide Radio Operators Foundation, die diesen Contest organisiert und betreut. Unter dem Namen  *Pile Up Team* organisieren sie gemeinschaftlich die Teilnahme am weltweit wohl anspruchsvollsten SSB- und  CW-Contest, der 48 Stunden andauert und, will man erfolgreich sein, eine ausgeklügelte Betriebstechnik verlangt (im ‚stile militare‘) wobei die Führung des Pile Up’s Nervenstärke und ausgezeichnete CW-Fähigkeiten voraussetzt. Die Aufnahme der Verbindungen und der Austausch der notwendigen Daten müssen rasch verlaufen, will man in 48 Stunden eine möglichst hohe Anzahl an QSO’s erreichen. Das ist der Job für die HighSpeed Leute wie IT9ORA, denn ca. 5000 QSOs in 48 Stunden wollen erst einmal bewältigt sein. Das sind nach Adam Riese ca. 100 Verbindungen pro Stunde und knapp zwei pro Minute! Der Contest findet jedes Jahr statt; für SSB das letzte Wochenende im Oktober, für CW das Ende November.
In den verschiedenen Klassen der Teilnahme (Siehe dazu https://cqww.com/index.htm) konkurriert die Sektion welt- und europaweit um die ersten Plätze. 2023 erreichte die Sektion in der MULTI-ONE-LOW-Klasse (mehrere Operatoren, ein Sendesignal, Leistung  ≤ 100W) auf Sizilien bezogen den zweiten, europaweit den siebten und weltweit den achten Platz. Die Ergebnisse für 2024 sind noch in Arbeit. Giovanni, IT9ORA erwartet einen Platz unter den ersten 5 weltweit, diesmal in der Klasse mit höherer Leistung.

Ich hatte das Glück, die Mitglieder der Gruppe in Aspra zu treffen, wo sie für die Vorbereitungen für den CW-Contest Ende November zusammengekommen waren.

Zum Schluss danke ich Onofrio (Ono), IT9JDB und Giovanni, IT9ORA für die überaus große Gastfreundschaft und Unterstützung, die sie mir gewährt haben.

Das "Pile Up Team"

Da ich alles andere als ein im Morsen geübter Funkamateur bin, mein letztes der wenigen CW-QSOs, die ich je gefahren habe, liegt 60 Jahre zurück, habe ich mir gelobt, nicht eher zu ruhen, bis ich mit beiden eine CW-Verbindung zustande gebracht habe. Die dazu nötigen Requisiten, eine Morserino32 und eine Taste sind schon beschafft. Onofrio , IT9JDB  hat mich bereits mit den wichtigsten didaktischen Regeln versorgt:

Wichtig ist, fange an zu üben, beachtete die zeitlichen Relationen der Zeichen und Wörter, fühle den Rhythmus. Erforderlich sind regelmäßige Übungen! Lass es alleine ein Hobby sein und bleiben, dann stellen sich die Ergebnisse früher oder später ein. Und, „la cosa più importante:“ No stress! (Das muss man nicht übersetzen.)

Bleibt noch, diese kleine Anekdote zu erzählen: Bei diesem Vorbereitungstreffen der Contestgruppe lernte ich auch Antonio, IT9GRE kennen, ehemals Professor am Liceo artistico in Palermo, der gleich die Gelegenheit wahrnahm, im wunderschönen Museo dell’Acciuga ein paar Skizzen anzufertigen.

Antonio, IT9GRE

Ins Gespräch gekommen erinnerten wir uns daran, wie wir zu unserem Hobby gekommen waren, und er erzählte mir zu meiner Verblüffung von seiner Verwunderung als Jugendlicher über ein Radio, das ohne elektrischen Strom funktionierte. Exakt dasselbe Problem stellte sich mir in meiner frühen Jugend.  Im Italienischen nannte man den Detektorempfänger damals „Radio a galena“ wobei ‚galena‘ der Name für eine kristalline Bleisulfid-Verbindung ist, mit der man unter Zuhilfenahme einer Kontaktspitze eine nicht lineare Übertragungskennlinie erzeugen konnte.

Die Zeichnung ist es wert, wiedergeben zu werden, weil darin skizziert ist, wie man offenbar

dieses Bleisulfid hergestellt hat. Es war dieselbe Erfahrung und Verwunderung, die uns zum Radio und schlussendlich zum Amateurfunk geführt hatte und die mehr oder weniger alle Funkamateure verbindet.

Geschichtliches

Apropos Guglielmo Marconi und „Radio ohne Strom“. In Italien nannte man die professionellen Funker „Marconisti“ wohl im Gedenken an den großen italienischen Erfinder. Marconi begann mit ca. 20 Jahren die Hertz’schen Arbeiten zu studieren und eigene Experimente zur Anwendung der elektromagnetischen Wellen durchzuführen mit dem Ziel, diese für eine drahtlose Telekommunikation nutzbar zu machen. Hertz wiederum hatte als Voraussetzung die Maxwell-Gleichungen des elektromagnetischen Feldes, mit denen der geniale Schotte James Clerk Maxwell eine widerspruchsfreie Theorie der Elektrodynamik vorlegte. Bemerkenswert daran ist, dass Maxwell die Existenz einer physikalischen Erscheinung vorhersagte, die bis dahin unbekannt war. Kannte man bis dahin nur das Induktionsgesetz Faradays, das die Erzeugung eines elektrischen Feldes durch ein sich zeitlich änderndes magnetische Feld beschrieb und experimentell leicht vorzuführen war, so nahm Maxwell an, dass auch umgekehrt, ein zeitlich sich änderndes elektrisches Feld, zum Bespiel das eines Plattenkondensators wenn er geladen oder entladen wird,  ein magnetisches Feld erzeugt - und damit elektromagnetische Wellen möglich wären. Hertz hat mit seinen Experimenten (die heute noch im Original im Deutschen Museum zu sehen sind) gezeigt, dass diese Möglichkeit auch Realität ist, d. h. es gibt elektromagnetische Wellen und diese breiten sich im leeren Raum mit Lichtgeschwindigkeit aus. Da wäre es doch schön, wenn man damit auch etwas praktisch anfangen könnte, zum Beispiel miteinander zu kommunizieren. Das war die Stunde Marconis - und wenige Jahre später die der ersten Funkamateure!

1905 gab der britische Generalpostmeister die ersten gedruckten Experimentierlizenzen an Amateure aus.

In Deutschland konnte man ab 1924 eine ‚Audion-Versuchserlaubnis’ erwerben .Der Amateurfunk beschränkte sich hier zunächst aufs Hören. In demselben Jahr wurde der Deutsche Funktechnische Verband gegründet, erste Sendelizenzen und eine Standardisierung der Rufzeichen folgten.

In Italien begannen private Funkaktivitäten in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts offiziell 1927 mit der Gründung der „Associazone Radiotecnica Italiana (ARI), die 1977 in die Associazione Radioamatori Italiani (ARI) umgewandelt wurde. Ernesto Montù, erster Präsident der ARI in 1927, war einer der ersten Radioamateure Italiens.

In den USA gab es ab 1905 für 8,50 Dollar den „Telimco-Telegraphen“ frei zu kaufen, eine batteriebetriebener Funkeninduktor als Sender  (der Hertzsche Sender war ein Funkendetektor) und einem Coherer Empfänger (einen Coherer benutzte schon Marconi), mit dem man etwa eine Meile überbrücken konnte.

 

Impressionen

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